Grüezi Herr Stadler! Als Geschäftsführer und Wirtschaftsförderer des Wirtschaftsportals Ost trauern Sie wohl immer noch der verlorenen Volksabstimmung für das Wirtschaftsprojekt Wil West nach ...
Sagen wir es so: Ein Ja bei jener Volksabstimmung hätte einiges vereinfacht. Bedauerlich ist primär, dass nach der Abstimmung behauptet wurde, es sei über das ganze Projekt abgestimmt worden. Dabei ging es nur um die Frage, ob der Kanton St.Gallen das Wirtschaftsareal auf Thurgauer Boden selbst erschliessen, entwickeln und vermarkten und dafür in Vorinvestition gehen soll.
Die Bewegung «Wir wollen Wil West» will dem Projekt doch noch zum Durchbruch verhelfen. Ist das realistisch?
Das Projekt ist nachweislich gut und nachhaltig. Deshalb glauben die bei der Bewegung beteiligten Wirtschaftsvereine aus der Region Wil nach wie vor an eine Realisierung. Wer sich unvoreingenommen mit den Vor- und Nachteilen auseinandersetzt, kommt zu einem positiven Schluss. Könnte Wil West nicht realisiert werden, wäre es für die Region bitter, weil die Wirtschaftsentwicklung gebremst würde und viele Verkehrsprobleme ungelöst blieben. Zudem würde der Druck auf die verschiedenen Gemeinden wieder zunehmen, Kulturland an weniger gut erschlossenen Orten einzuzonen und zu bebauen. Es wäre aber auch für die ganze Ostschweiz ein problematisches Signal. Es war wohl vielen zu wenig bewusst, dass bei einer Ablehung des Projekts auch andere Entwicklungsgebiete im Kanton St.Gallen behindert oder verunmöglicht würden.
Würde Ihnen ohne dieses Leuchtturmprojekt langweilig in der Region Wil?
Oh, nein, überhaupt nicht! Die Aufgaben und Ziele des Wirtschaftsportals Ost als regionale Standort- und Wirtschaftsorganisation mit mittlerweile fast 400 Mitgliedsunternehmen haben unabhängig von Wil West ihre Gültigkeit und Berechtigung. Aber es würde bekannte Herausforderungen für den Standort Ostschweiz noch stärker akzentuieren: Wie wollen wir in der Ostschweiz aktuell und künftig für Fachkräfte attraktiv sein, wenn wir solche Chancen und Perspektiven in den Wind schlagen?
Jenseits von Visionen: Welches sind die alltäglichen Probleme Ihrer Mitglieder?
Je nach Branche sehen sie etwas anders aus. Unsere Region ist, wie die Ostschweiz insgesamt, stark exportorientiert. Da machen sich Rezessionen in den Absatzmärkten oder der starke Franken natürlich bemerkbar. Über alle Branchen hinweg ist weiterhin der Fachkräftemangel zu spüren. Und angesichts der Demografie wird sich dies weiter verschärfen. Umso wichtiger ist es, dass die Ostschweiz nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Fachkräfte attraktiv bleibt.
«Der Kanton St.Gallen muss für den Mittelstand steuerlich attraktiver werden.»
In Ihrem Verband gibt es einen sehr breiten Branchenmix. Haben Ihre Mitglieder manchmal auch widersprüchliche Interessen?
Wie bei jedem branchenübergreifenden Verband kann es das grundsätzlich geben, das kommt aber selten vor. Als regionale Standort- und Wirtschaftsorganisation verfolgen wir Ziele, die im Interesse aller stehen: Wir positionieren die Region als attraktiven Standort, bündeln die vorhandenen Kräfte, bringen Menschen zusammen, um kantonsübergreifend Synergien und Kooperationen zu fördern. Dabei ist der breite Branchenmix eher nützlich als hinderlich: Oft führt gerade der Erfahrungsaustausch aus ganz anderen Bereichen zu neuen Ideen und Kooperationen.
Sie möchten – im Wahlkreis St.Gallen – für die FDP in den Kantonsrat einziehen. Was wäre denn die erste Forderung eines Wirtschaftspolitikers Robert Stadler?
Wir müssen darauf achten, dass wir als Wohn- und Arbeitsort für Fachkräfte attraktiv bleiben. Sonst verschärft sich der «Brain-Drain» weiter. Es gibt verschiedene Stellschrauben im Bereich Steuer- und Bildungspolitik oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, welche die Rahmenbedingungen verbessern würden. So bin ich überzeugt, dass der Kanton St.Gallen für den Mittelstand steuerlich attraktiver werden muss. Im Vergleich zu unseren Nachbarkantonen sind wir da im Hintertreffen.
Interview: Philipp Landmark
erschienen im LEADER 1/2024 (DOWNLOAD PDF)