Nirgends ist der Fachkräftemangel akuter als in der Ostschweiz. Dies ist jedenfalls das Resultat des aktuellen Fachkräftemangel-Index, der von Adecco in Zusammenarbeit mit dem Soziologischen Institut der Universität Zürich veröffentlicht wurde. Gemäss der Studie hat sich der Mangel an Fachkräften in den Ostschweizer Kantonen deutlich verschärft: Seit 2016 wird ein enormer Anstieg um 49 Prozent verzeichnet. In der ganzen Schweiz nahm der Index in der gleichen Zeit um 22 Prozent zu. Die Schere zwischen den offenen Stellen pro Beruf und der Anzahl Stellensuchenden driftet also vor allem in der Ostschweiz immer weiter auseinander. Prekär ist die Lage insbesondere bei naturwissenschaftlichen Berufen, z.B. im Ingenieurwesen oder der Informatik.
Schattenseite des Erfolgs?
Nach den Gründen für diese alarmierende Entwicklung geben die Experten allerdings gleich Entwarnung. Der Grundtenor lautet: Eigentlich können wir stolz sein auf den hohen Wert, denn es gebe hauptsächlich zwei Gründe dafür: Zum einen sei die Konjunktur in der Ostschweiz in den letzten beiden Jahren sehr positiv verlaufen, weshalb mehr Stellen geschaffen wurden. Zum anderen habe die Ostschweiz eine vergleichsweise tiefere Arbeitslosigkeit.
Die Botschaft ist zwar beruhigend aber gleichzeitig etwas irritierend: Alles ist gut, es gibt keinen Handlungsbedarf und wir Ostschweizer können stolz sein? Den äusserst hohen Wert des Fachkräftemangel-Index sollten wir auch selbstkritisch hinterfragen. Die beiden angeführten Gründe mögen zwar zutreffen, sind aber sicherlich nicht die einzigen. So leidet die Ostschweiz überdurchschnittlich am «Brain Drain»: Junge verlassen zwecks Studium und Ausbildung die Ostschweiz und kehren nicht zurück. Andere wohnen zwar hier, pendeln aber zur Arbeit nach Zürich.
Fachkräftemangel selbst entschärfen
Es wäre also durchaus an uns, nach Gründen für diese Entwicklungen zu suchen und daraus Massnahmen abzuleiten. Zumal sich die Situation aufgrund des demographischen Wandels vermutlich weiter verschärfen wird. Ein entscheidender Hebel, um dem Fachkräftemangel aktiv zu begegnen, ist die Aus- und Weiterbildung. Ein noch besseres Bildungsangebot in der Informatik und in technischen Berufen ist deshalb zu unterstützen. Dieses muss aber zwischen den Ostschweizer Kantonen abgestimmt sein, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden und die knappen Mittel so effizient wie möglich zu nutzen. Weiter gilt es, die Erwerbsquote im Inland zu steigern: Ältere Arbeitnehmende im Erwerbsleben belassen, die Erwerbsquote der Frauen erhöhen und die Immigration nicht unnötig einschränken. Der Herausforderung Fachkräftemangel sollten wir aktiv begegnen statt unsere Ostschweizer Genügsamkeit zu pflegen.